Alles hat seine Zeit: Werden und Vergehen gehören zu unseren existentiellen Grunderfahrungen. Dabei sind Neuanfänge zwar verheissungsvoll, jedoch oft überbewertet.
Alles ist in ständigem Wandel. Damit Neues entsteht, muss Altes erst vergehen. Die Natur macht es vor: Jedem Winter folgt ein Frühling – in der Regel. Und die Botschaft des Frühlings lautet: Es ist vernünftig, Hoffnung zu haben. So auch vor jedem Neuanfang: Endlich wird alles gut, besser oder einfach anders. Das klingt verheissungsvoll, und darum sind Neuanfänge richtig in Mode gekommen. Denn die Lust am Neuanfang ist für die Konsumgesellschaft eine grosse Attraktion. Von vorn beginnen, sich neu erfinden – und antworten auf alle Ermüdungen, die Menschen im Alltagsstress erleben. Nach dem Vorbild: Nicht nur der Frühling macht alles neu, so wird grosszügig beendet, neu angeschafft, freigebig losgelassen oder vielmehr weggeworfen. Strukturell ähneln sich private und öffentliche Umbruchphasen. Wie wir wissen, finden viele Neuanfänge meist bloss oberflächlich statt und verändern nicht wirklich. Warum? Weil wir mit unseren kurzsichtigen Wünschen nach radikalen Veränderungen, die Natur einmal mehr falsch verstehen. Und wann ist denn der richtige Zeitpunkt für den tiefgreifenden Neuanfang? Ganz klar: Jetzt – und zwar unabhängig von der Ernte des Sommers. Zudem ist die Zeit, die den Neuanfang einleitet, der Übergang. Diese häufig völlig unterschätzte Weder-noch-/All-in-Phase ist der kreative Freiraum, der das Potential zu ganzheitlicher Erneuerung vollumfänglich in sich trägt.