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Busbild By Purpur Edition

17.02.2020 | Die Angst des Reisenden

Sorgen stets für Hektik und Stress: die nächste Zug- oder Bushaltestelle und die Momente nach der Flugzeuglandung. Auf was wohl diese ansteckend nervöse Besonderheit unter Passagieren gründet?

Sonnenklar, es gibt grosse und kleine Ausstiege. Ich will hier und jetzt nicht über die ganz Grossen, wie etwa den wirtschaftlichen Atom-, Öl- oder Kohleausstieg schreiben. Und auch nicht über den persönlichen mittel-grossen Ausstieg aus dem Fleischkonsum oder der Komfortzone. Ich möchte mich etwas Alltäglichem zuwenden. Nämlich der Angst des Reisenden davor, nicht aussteigen zu können. Haben Sie das auch schon beobachtet oder sind Sie am Ende selber eine/r von denen?

Gemütlich im Bus am Thunerseeufer entlang fahrend, draussen präsentiert sich die Postkarte von A bis Z, kommt auf einmal bei meiner Sitznachbarin eine nervöse Unruhe auf. Sie fängt an, in ihrer Tasche zu wühlen und etwas näher zu mir zu rücken. Aha, denke ich, sie will bestimmt bei der nächsten Haltestelle aussteigen – gefühlt ist es bis dahin noch gut einen Kilometer weit. Sagen tut da jeweilen fast nie jemand ein Sterbenswörtchen. Doch die Körpersprache spricht bekanntlich immer. Kaum werde ich der Zeichen gewahr, gebe ich meinen Platz frei, sodass die Dame aufstehen, sich zur nächsten Stange hangeln kann, um sich daran festzukrallen. Denn das ist wichtig, weil genau in solchen Momenten die meisten Umfall-Unfälle in Bussen passieren. Vorwiegend sind es ältere Reisende, die bereits lange bevor der Bus zum Stillstand kommt, vorne – am liebsten zuvorderst – bei der Tür stehen wollen, um eben diesen Ausstieg ja nicht zu verpassen. Richtig krass sind dann aber die – da dominiert die jüngere Klientele – die noch bevor der Bus anhält, mehrmals hintereinander aggressiv auf den Türöffnerknopf drücken, als ob dies der Buzzer in der Millionenshow wäre. Das könnte an der signalroten Farbe des Knopfes liegen.

Fast schon schön finde ich die Zugreisenden, die egal zu welcher Tageszeit, im Intercity-Zug von Thun nach Bern, bereits kurz nach Gümligen aufstehen, um den Rest der Strecke lieber stehend zurückzulegen. Man könnte ja am Ende der Fahrt gar den Ausstieg verpassen! Oder worauf gründet das? Mit ihrem sonderbaren Verhalten animieren sie zudem viele andere Herdenreisende. Sodass der Zwischengang in Nullkommanichts gefüllt ist mit freiwillig stehenden Reisenden, die spätestens bei der Einfahrt im Bahnhof Bern schon X-Mal fast umgefallen wären, so ruckelt und zuckelt auf dieser Strecke bekanntlich der Zug über die Weichen. Erstaunlich! Gerne möchte ich verkünden, dass ich es noch immer geschafft habe, aus dem Bus oder dem Zug auszusteigen. Auch den früher bestiegenen Flugzeugen entstieg ich lieber stressfrei.

Manchmal muss man halt einfach ein bisschen warten. Doch vielleicht ist es ja das: Unsere ich-will-immer-und-überall-das-haben-was-ich-will-Gesellschaft hat das Warten verlernt. Dabei gewinnt man häufig damit wieder einmal etwas Zeit für sich! Da ist es fast beruhigend zu wissen: Absehbar werden die Züge so vollgestopft sein, dass man sich kurz nach Thun zum Aussteigen in Bern einreihen kann. – Wäre doch das Kollektiv für die eingangs beschriebenen grösseren Ausstiege auch so bereit! – Doch dann kam Corona...

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