
Weihnachten bietet Gelegenheit zum Ankommen und Heimkommen. Doch: Wo ist daheim? Und: Wie fühlt sich Heimat an?
An Weihnachten kommt die Familie zusammen. Es wird gegessen, gelacht und man erinnert sich. In den Stuben flackern die Kerzen, draussen fallen vielleicht ein paar Flocken, und die Augen der Kinder funkeln wie Sterne. Man gedenkt Vergangenem, fragt sich, was bleibt, was trägt. Und von irgendwo klingt leise Stille Nacht.
Dieses Jahr beginnt Weihnachten auf dem Nachhauseweg mit einer Verspätung. Ein eisiger Wind weht über das Bödeli, die Berge ziehen ihre weissen Kappen noch einen Umgang tiefer. Neben mir steht eine Frau mit einer Einkaufstasche, ein Tannenzweig lugt heraus. Auch sie wartet auf den Bus, als sie unvermittelt an mich gerichtet sagt: «No isch Zyt» und dazu milde lächelt. In diesem Satz steckt gehörig viel Wärme und Zuversicht, und ich lächle zurück. Als der Bus endlich kommt, sehe ich mein Spiegelbild im Fenster – müde, bleich, der Kopf voll Listen. Vielleicht beginnt Ankommen gerade jetzt: wenn man die Listen im Kopf auf stumm stellt, sie zusammendreht wie eine Lichterkette. Wenn die Türen aufgehen, die Kälte weicht – und endlich der Heimweg beginnt. Wenn zuhause jemand auf dich wartet – und wenn es nur die Katze ist.
Daheim duftet es nach Bouillon, Zimt und Muskat. Der Baum neigt sich ein wenig, der Stern auf der Spitze hängt so leicht schief. «Gäll, är het äbe Charme», sagt jemand, und genau das ist es. Nicht perfekt und doch passt alles. Halt eben heimelig.
Später, wenn die Kirchenglocken den Heiligabend einläuten, steigt die Spannung spürbar. Endlich dürfen sich die Kinder auf die Pakete stürzen, derweil die Grossen verständnisvoll schmunzeln. Waren wir da nicht viel anders? Einer sagt: «Weisch no?» – Schon rollt die Erinnerung heran: an Winter, in denen der Schnee noch meterhoch lag, und an Grossmutter, die im ursprünglichsten Bödellitüütsch ein lustiges Samichlousevärsli aus dem Stegreif aufsagte. Und an den Satz, der immer fiel, wenn jemand es allzu pressant hatte in dieser geheiligten Zeit: «Mir hei doch dr Zyt. Schliesslech isch ja Wiehnacht.»
So ist Heimat selten ein Ort auf der Karte. Heimat ist vielmehr wie eine Tasse, die du blind im Schrank findest. Ein Dialekt, der dich versteht, wenn du leise «müed» murmelst. Das Geräusch von knackendem Holz im Kaminfeuer, der Duft von Brätzeli, der beim Ankommen durch den Hausflur weht. Ein «gäll» – und alle nicken. Ein «chum, hock häre» – und du sitzt, als wärst du nie weg gewesen.
Draussen rieselt der Schnee. Im Haus ertönen Stimmen, Lachen, dazwischen Stille. Einer füllt die Gläser, jemand anderes legt mir die Hand auf die Schulter. Und plötzlich wird mir klar: Ankommen ist kein grosses Ereignis. Es ist ein leises Einrasten, wenn Herz und Ort sich finden. Heimat ist auch weniger ein Ort, sondern vielmehr ein Gefühl, das entsteht, wenn jemand sagt: «Chum ine ad Wermi» – und es fühlt sich stimmig an. Ich bin angekommen, ich bin da – und das genügt.