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purpur edition jungfrau

20.11.2025 | Zwischen Tiefe und Leichtigkeit

Texte, die tragen – nicht erschlagen.
Über die feine Balance zwischen Tiefe, Struktur und Leselust.

Es gibt Menschen, deren Worte wie verdichtete Landschaften wirken. Jeder Satz birgt einen Gedanken, und mit jedem Gedanken weitet sich der Fluss, bis er sich verzweigt und neue Ufer berührt. In kurzer Zeit entsteht eine Fülle an Eindrücken – faszinierend, reich, und doch so dicht, dass sie einen leicht schwindeln lassen kann: geistreich, aber nicht immer leicht zu fassen. Diese Art zu erzählen kenne ich gut. Sie begegnet mir im beruflichen Alltag immer wieder. Menschen, die fachlich enorm sattelfest sind, reden und schreiben auf hohem Niveau – aber manchmal ohne Punkt und Komma. Es ist ein Strom, der fasziniert, aber nicht immer führt. Und hier stellt sich die Frage, die mich als Journalistin und Texterin täglich begleitet: Wie schaffe ich Texte, die gleichzeitig tief, strukturiert – und dennoch leicht lesbar sind?

Tiefe ohne Überlastung

Tiefe bedeutet für mich nicht, möglichst viele Informationen hineinzupacken. Tiefe bedeutet Relevanz. Was ist wirklich wesentlich? Was trägt die Aussage? Was macht ein Thema spürbar?
Tiefe entsteht, wenn ich das Wesentliche vom Nebensächlichen trenne – und trotzdem nichts Wesentliches verliere.

Struktur als leise Führung
Eine gute Struktur ist wie ein wohlgesetzter Wegweiser: Er ist da, aber er drängt sich nicht auf.
Struktur gibt Sicherheit. Sie nimmt Leser:innen an die Hand. Sie ordnet Gedanken, bevor man sie hinsetzt.
In meiner Arbeit bedeutet das: Ich höre zu, ordne, verdichte – und öffne gleichzeitig Räume. Nicht alles aufs Mal, sondern in behutsamen Schritten.

Leselust als Qualitätsmerkmal
Ein Text kann fachlich stark sein. Er kann alles enthalten, was man wissen müsste – und doch schwer zu lesen sein. Leselust entsteht dort, wo Worte atmen dürfen. Wenn Rhythmus stimmt. Wenn Sätze einladend sind. Wenn ich als Leserin spüre, dass jemand für mich mitgedacht hat. Hinter der Leselust steht die Kunst, die Leserschaft nicht arbeiten zu lassen – obwohl der Text gehaltvoll ist.

Die Balance im Handwerk
Diese Balance kommt nicht von selbst. Sie ist kein Zufall und keine Laune des Stils. Sie ist Handwerk. Erfahrung. Zuhören. Feingefühl. Sie entsteht dort, wo Inhalt und Form einander respektieren. Ich merke es immer wieder: Gute Texte leben weniger von «mehr», sondern von bewusst gewählten Schwerpunkten. Von Klarheit. Von Luft. Von einer Stimme, die trägt, ohne zu drücken.

Warum mich dieses Thema beschäftigt
Der Anlass war ein Fachartikel, den ich kürzlich gelesen habe – brillant recherchiert, inhaltlich stark, aber sprachlich sehr dicht. Ich schätze den Autor und seinen Stil sehr, doch beim Lesen spürte ich: Der Text hätte etwas mehr Luft gebraucht. Dieser Lesemoment hat mir wieder einmal gezeigt, wie entscheidend die Balance ist – und wie sehr sie mein eigenes Schreiben prägt. Denn am Ende zählt nicht, wie viel wir schreiben. Sondern wie viel bei der Leserschaft ankommt.

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